Verhungern als Freelancer: Ist Selbständigkeit eine Armutsfalle?

Verhungern als Freelancer: Ist Selbständigkeit eine Armutsfalle?

Einzelunternehmer*innen in Deutschland arbeiten oft unter Mindestlohn-Niveau, so das erschreckende Ergebnis einer Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Was ist da los?

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Existenzangst ist ein Zustand, mit dem wohl fast alle selbständigen Unternehmer*innen vertraut sind: Weil immer so viele Faktoren in jede Planung fließen, die sich nicht selbst beeinflussen lassen, kann es jederzeit vorkommen, dass Rücklagen knapp werden und das Konto leer bleibt. Aber unter dem Satz für Mindestlohn – und das gleich so häufig?! Das haben wir uns genauer angeschaut.

Das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eine Studie zum Thema „Selbstständige Erwerbstätigkeit in Deutschland“ veröffentlicht. Zu deren Ergebnissen, die anschließend durch diverse Online-Medien gespült wurden, zählt eben auch diese bittere Erkenntnis: Es gibt in Deutschland zwischen einzelnen Gruppierungen von selbständigen Unternehmer:innen erhebliche Unterschiede. Nicht nur, weil Aufgaben und Kompetenzen unterschiedlich entlohnt werden. Ein genauerer Blick auf die Studie entlarvt:

Die Studie sagt aus, dass rund 30 Prozent der Solo-Selbstständigen unter dem Mindestlohn verdienen, jedoch handelt es sich bei der in dieser Studie als Geringverdiener genannten Gruppe offensichtlich gar nicht um Unternehmer im eigentlichen Sinne. Gemeint sind nämlich Scheinselbstständige.

Wann liegt eine Scheinselbständigkeit vor?

Scheinselbständig sind Beauftragte, deren Arbeitgeber nicht in die Sozialversicherungssysteme einzahlt, obwohl er anhand diverser Kriterien dazu verpflichtet wäre. Oft wird vermutet, dass ein*e Unternehmer*in, die auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist, automatisch eine abhängige Beschäftigung innehat und damit nur scheinbar selbständig ist. Ein Monokunde stellt aber lediglich ein Indiz von mehreren für das Vorliegen einer Scheinselbstständigkeit dar – fast alle Auftragssituationen sind Einzelfälle, wenn man genauer hinschaut.

Eindeutig selbständig ist im Regelfall, wer folgende typische Merkmale unternehmerischen Handelns aufweist:

  • Erbringung von Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung
  • eigenständige Entscheidung über Einkaufs- und Verkaufspreise, Warenbezug
  • unabhängige Gestaltung der eigenen Verfügbarkeit und Arbeitsauslastung, sprich:
  • völlig freie Gestaltung und Einteilung von Arbeitszeiten und Tätigkeitsgebieten
  • Verfügungsgewalt über Kapital, Arbeitsgeräte, Einkaufs- und Verkaufskonditionen
  • Vorhandensein eines eigenen, unabhängigen Arbeitsplatzes oder einer Betriebsstätte

sowie mehrere Kunden als einen, die Bemühung um weitere (nachweisliche) Kundenakquisition durch Social Media Marketing und Business Networking Profile mit Timelines, die Eigenwerbung betreiben, weitere Werbemaßnahmen und Auftreten als Selbstständige*r in der Geschäftswelt: Eigene Briefköpfe, Website, Anzeigen – kurz, ein sichtbarer Auftritt als Unternehmer*in.

Ein Anhaltspunkt für Scheinselbstständigkeit ist die persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber, ein weiterer die Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers ohne eigenes unternehmerisches Handeln.

Der Anteil geleisteter Arbeitsstunden kann ins Gewicht fallen, aber auch ein Anteil von fünf Sechsteln des Umsatzes gilt als Schallgrenze für die Feststellung der „Scheinselbständigkeit“. Wobei es nicht in allen Details um Einzelfall-Diskussionen geht: Fixe, vom Arbeitgeber vorgegebene Arbeitszeiten und -plätze, Urlaubszeiten und andere Regelungen, die Angestellten vorbehalten sind (nur ohne das Sicherheitsnetz) sind auf jeden Fall nicht verhandelbare Anzeichen der Scheinselbständigkeit.
Quelle: IHK Frankfurt a.M. zum Thema Scheinselbständigkeit

Interessant ist noch ein weiteres Ergebnis der ZEW-Studie: Obwohl diese besagte dreißig Prozent Solo-Scheinselbstständige teils unter dem Mindestlohn verdienen, scheinen sie sich trotzdem nicht in einer prekären Lebenssituation zu befinden. Oft handelt es sich nämlich um einen Nebenerwerb oder durch den besser verdienenden Partner ist eine Absicherung gegeben.

Von Armutsfalle kann dann kaum die Rede sein. Diese in die Statistik einfließenden Selbständigen verzerren das allgemeine Bild also ebenso wie »echte« Scheinselbständige: Bei denen ist klar, dass Arbeitgeber in die Pflicht genommen werden sollten, wenn sie freie Unternehmerinnen so an sich binden und vereinnahmen, dass diese wie Angestellte gehalten werden, aber keine Vorteile wie eine Absicherung gegen Armut geniessen.

Wenn klar ist, dass ein Auftragnehmer nur einen Auftraggeber hat und darüber hinaus wie ein Angestellter in die Betriebsabläufe integriert ist, muss der Arbeitgeber ein Gehalt zahlen und der Auftragnehmer ist wie ein abhängig Beschäftigter einzustufen.

Warum niemand unter Mindestlohn arbeiten sollte

Wer für Mindestlohn oder darunter arbeitet, kann keine Rücklagen für schlechte Zeiten aufbauen. Altersvorsorge ist nicht drin, genauso wenig wie ein finanzieller Puffer. Außerdem zerstören die »Billigheiner« den Markt für alle und schaden nicht nur sich selbst, sondern auch dem Wettbewerb – denn andere werden sich ebenfalls gezwungen sehen, mit den Honoraren nach unten zu gehen, wenn für so niedrige Tarife gearbeitet wird.

Da schließt sich die Armutsfalle für Selbständige dann wirklich – und obendrein betrügen Scheinselbständige sich selbst um die soziale Absicherung bzw. den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherung. Auch für Steuerrücklagen dürfte wenig Spielraum sein in einer solchen Konstellation – und das kann schnell nach hinten losgehen.

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Die Höhe des Lohns ist also für »echte« Selbständige nicht die echte Herausforderung, sondern mehr die allgemeine Vorsorge bei Krankheit und im Alter.

Fazit

Wenn die Altersvorsorgepflicht 2020 für alle kommt, wird es schwierig für jede*n, der seine Aufträge über möglichst niedrige Honorare ergattert. Spätestens bei dieser Erkenntnis sollte ein Umdenken einsetzen: Hin zu mehr finanzieller Eigenverantwortung, mit Tools und Konten für den Überblick und anständigen Stundensätzen.

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