So kommt es zum Erfolgssyndrom
Organisationen haben sich strukturell verändert. Mit der zunehmenden Globalisierung des Geschäftslebens und der zunehmenden Überschneidung von Funktionen werden Silos aufgebrochen, die Vernetzung nimmt zu. Teamarbeit wird als Schlüssel zum Unternehmenserfolg angesehen und immer mehr Abteilungen arbeiten zusammen.
Doch fast nirgends wird sichtbar, ob diese zusätzliche Arbeitslast gleichmäßig verteilt wird. Viel zu häufig ist sie es nämlich nicht. Gute Mitarbeiter:innen bekommen mehr und mehr Arbeit auf den Tisch oder Monitor – ohne dass überhaupt auffällt, dass es nicht allen so geht.
Wenn Mitarbeiter:innen intern dafür bekannt sind, dass sie sowohl kompetent als auch hilfsbereit sind, wachsen ihnen immer mehr Rollen und Projekte zu. Einer Studie zufolge kann eine einzige Person in solch einer Konstellation mehr leisten als alle anderen im Team zusammengenommen. Sie werden „Extra Milers“ genannt (Quelle: Achieving more with less: Extra milers’ behavioral influences in teams.)
Wenn jemand bereit ist, „die Extrameile zu gehen“, ist er oder sie bereit, auch besonders große Anstrengungen zu unternehmen, um etwas zu tun oder in einem Projekt zu erreichen.
Wie sich unschwer erraten lässt, sind solche menschlichen Ressourcen irgendwann ausgebrannt und erschöpft, wenn sie mit immer noch mehr Arbeit zugeworfen werden. Dann verliert die Firma Fachwissen, Erfahrungen und den dazugehörigen Menschen.
Erfolgssyndrom geht alle im Team etwas an
Das Tückische am Erfolgssyndrom ist, dass so manche Person erst einmal darin aufgeht, so dringend gebraucht zu werden. Schließlich ist es auch Bestätigung, und wer braucht die nicht? Erst wenn alles über lange Zeit wirklich alles viel zu viel wird und der Frust einsetzt, wird es nicht mehr als normal akzeptiert, dass immer so viel Arbeit nachrutscht.
Außerdem ist es oft auch ganz bequem für das ganze Team, eine:n „Extra Miler“ oder zwei oder drei an Bord zu haben – insbesondere für die „schlauen Delegierer“, die es in der Regel auch noch gibt, wo viele Menschen zusammenarbeiten.
Transparenz, Kommunikation und agile Arbeitsmethoden wie Scrum können dabei helfen, die Workload Einzelner viel sichtbarer zu machen.
Erfolgssyndrom verhindern ist Führungsaufgabe
Im Ausgangsartikel von „The Harvard Business Review“ empfehlen die Autoren, dass Führungskräfte „den aktivsten und überbelasteten Helfern zeigen, wie sie Anforderungen filtern und priorisieren: Gebt ihnen die Möglichkeit, Nein zu sagen (oder nur die Hälfte der Zeit aufzuwenden, die gefordert wurde); und motiviert sie, eine Verbindung zu einer anderen Person herzustellen, wenn das Anliegen nicht nur von ihnen erledigt werden kann.“
Zeitmanagement und das Setzen von Prioritäten sind prima, ersetzen aber nicht eine Führungskraft, die dem Erfolgssyndrom entschieden entgegentritt. Bereits kleine Regeln können alles ändern:
- Wenn Anforderungen ganz altmodisch mal eine Zeitlang den Weg über Chefin und Chef gehen, werden sie mit Gewissheit besser durchdacht und nur dann gestellt, wenn sie wirklich nötig sind.
- Sollten Extra Miler trotzdem auch dann die Freiheit haben, Aufgaben abzulehnen, die von anderen mit vertretbaren Aufwand erlernt oder übernommen werden können, wächst generell das Fachwissen im Team.
- Immer wenn Führungskräfte das Problem als solches anerkennen und sich einbringen, ist schon viel gewonnen: Gehört und mit den eigenen Anliegen wahrgenommen zu werden ist die wichtigste Anerkennung.
Nicht zuletzt sollte jedes Team überlegen, ob ihre besonders effizienten Mitarbeiter:innen nicht selbst gute Führungskräfte werden können, um die eigenen Workload smart umzuverteilen.
Denn Erfolgssyndrom ist heilbar, sobald es als solches anerkannt wird.