Bereicherung für Unternehmen: Menschen mit Autismus
Bereicherung für Unternehmen: Menschen mit Autismus

Bereicherung für Unternehmen: Menschen mit Autismus

Barbara Lampl ist Verhaltensmathematikerin, erfolgreiche Expertin für strategische Vermarktung und digitale Geschäftsmodelle – und Autistin.

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    Welche Vorteile hat es, wenn HR-Verantworliche und Entscheider:innen über die Auftragsvergabe in Unternehmen ihre Vorurteile überdenken und sich auf Freelancer oder Mitarbeiter:innen mit Autismus einlassen? Wir sprachen mit der Autistin und Verhaltensmathematikerin Barbara Lampl von „empathic business“ über frische Potenziale gegen Fachkräftemangel und das Arbeitsleben im Spektrum.

    Autor:in: Carola Heine

    Veröffentlicht:

    Kategorie: Anwender:innen , Mitarbeiter:innen

    barbara lampl - empathic business
    barbara lampl - empathic business

    Barbara Lampl

    empathic business

    „Wer bin ich? Barbara Lampl, fast 43, als Autistin auf die Welt gekommen. Ich bin spät diagnostiziert worden, erst nach meinem dreißigsten Lebensjahr. In der Außenwahrnehmung vieler Menschen bin ich als erfolgreiche Unternehmerin dank der Spezialisierung auf Vermarktungsstrategien und digitale Geschäftsmodelle so etwas wie eine „Powerwoman“ (ein schreckliches Label). Ich bin Verhaltensmathematikerin, habe Mathematik, Finance & Psychologie studiert … am Ende des Tages besteht die treffendste Zusammenfassung für meine Person wohl aus gnadenlosem Optimismus, einer unglaublichen Resilienz und einem sehr durchgeknallten Gehirn.

    Was mein Geschäftsmodell angeht: Wir haben uns mit empathic business auf den kleineren Mittelstand spezialisiert, alles zwischen Solopreneur und bis etwa 750 Mitarbeiter:innen, für die wir komplette Digitalisierungsstrategien und Vermarktungsstrategien ausrollen.“

    „Du bist doch nur erfolgreich, weil du dich als Autistin geoutet hast“

    Carola Heine: Liebe Barbara, du bist mit deiner Firma als digitale Wegbebleiterin für mittelständische Firmen unterwegs und wir beide sind ins Gespräch gekommen, weil du auf LinkedIn die Umfrageoption genutzt hast und abgefragt hast: „Wie relevant ist es, dass deine Geschäftspartner, Gesprächspartner, Kontakte, Kolleg:innen und so weiter wissen, dass du Autistin bist?“

    Einige Antwortende haben sehr vorsichtig reagiert, andere haben abgewinkt und die meisten haben gesagt: „Na klar, darüber möchte ich mehr wissen – es könnte nicht schaden, so etwas wie eine „Bedienungsanleitung“ zu bekommen.“ War diese Frage nötig? Warum hast du das gefragt?

    Barbara Lampl: Die Umfrage habe ich gestartet, weil mein Autismus in den letzten Monaten mehrfach im beruflichen Kontext zur Sprache kam. Ein Feedback hat mich besonders irritiert, da hieß es dann nämlich: Du bist ja nur so erfolgreich, weil du dich als Autistin geoutet hast.

    Ich habe nämlich 2015 einen Blog-Artikel veröffentlicht, mit dem ich mich gegenüber der Business-Welt quasi mein offizielles Coming-Out hatte. Unter der Überschrift „Ich bin Autist und Empath – und Sie so?“ habe ich meine persönliche Geschichte erzählt, was zu extrem positiven Reaktionen geführt hat. Unter anderem auch dazu, dass Menschen in meinem Umfeld sich mit dem Thema, aber auch mit der Diagnose auseinandergesetzt haben. Daraus haben sich auch einige Diagnosen für andere ergeben.

    Das Wissen um Neurodiversity ist mir sehr wichtig, ich möchte das aktiv weiter vorantreiben. Durch meinen beruflichen Erfolg ist das Thema aber einige Zeit in den Hintergrund getreten, kam aber jetzt in den letzten Monaten immer wieder auf. Bis zu diesem Spruch, dass ich meinen Erfolg eh nur dem Autismus verdanken würde.

    Brauchen Kund:innen eine Bedienungsanleitung für Autisten in ihren Teams?

    Carola Heine: Daran kommt mir aber etwas unangenehm bekannt vor.

    Barbara Lampl: Genau. Alle beruflich etablierten Frauen kennen diesen Effekt, dass du dann quasi erfolgreich bist, weil du eine Frau bist. Oder so heißt es dann. Bei mir wurde aus dem angedichteten Mädchenbonus dann „du bist erfolgreich, weil du eine Frau und Autistin“ bist – da schwingt ja immer sehr hörbar mit, dass man ohne nicht erfolgreich wäre. Diese Art von Feedback kam aber nicht von meinen Kunden, sondern von außerhalb meines engeren Netzwerks. Mir ist dann aufgefallen, dass scheinbar aktuell so eine Art „Drift“ stattfindet, wir stehen an einem ganz anderen Punkt als 2015 und Mental Health Herausforderungen, psychische Probleme und auch Neurodiversity werden inzwischen ganz anders diskutiert.

    So kam ich auf den Gedanken, jetzt einfach noch ein bisschen mehr Aufklärungsarbeit zu leisten: Was heißt eigentlich „Autist“? Gibt es eine Bedienungsanleitung? Will die jemand haben?

    Carola Heine: Du hast dann auch sehr viel positive Resonanz bekommen. Allerdings gibt es ja Menschen, die Autismus als eine sehr starke Einschränkung bei sich oder anderen kennen, während andere sagen: Das ist eine neurodiverse Geschichte, die mir auch oft echt hilft. Es gibt kein Muster, das auf alle passt. Es gibt aber viele Vorurteilsschubladen, die eher hinderlich sind.

    Was ist es denn, was ein Kunde wissen muss, was euch beide voranbringt?

    Barbara Lampl: Das ist der spannende Punkt: Der Kunde muss es gar nicht wissen. Meine Zielgruppe interessiert sich nur für das, was ich nach außen kommuniziere: Eine extrem klare und sehr deutliche Kommunikation. Es gibt nun mal Autist:innen, die so sind wie ich und mit dem Benefit der Klarheit ohne Zuckerguss vielen anderen Consultants oder Dienstleistenden etwas voraus haben.

    Klarheit und Transparenz, das sind wertvolle Benefits.

    Denn mit dem Abklären, wie das Gegenüber funktioniert, damit fängt jede Kommunikation an: „Hey, pass auf, ich kommuniziere so. Wie kommunizierst du? Wie verbindlich sind wir?“ Aber am Ende des Tages fängt alles bei dieser Kommunikation an. Der interessante Punkt ist, dass es viele Fehleinschätzungen über Autisten gibt, die im Business dann zur völlig falschen Schlussfolgerung führen und eine Zusammenarbeit dadurch schwieriger als nötig gestalten. Weniger für mich persönlich, als dass ich von anderen weiß, die deswegen so eine extreme Hürde erleben.

    Linienmuster

    Wie profitieren Arbeit- und Auftraggeber von der Zusammenarbeit mit Autist:innen?

    Barbara: „Der konkrete Benefit von Autisten, mit denen man zusammenarbeiten kann ist: Sie bringen etwas Buntes mit an den Tisch. Sie sehen die Welt anders. Sie kommen zu anderen Schlussfolgerungen. Sie haben ein Skillset, was für andere nur mit sehr viel Aufwand vielleicht zur Verfügung steht oder gar nicht.

    Autisten passen ja nicht alle durch eine Schablone. Aber was uns schon eint: Wir haben alle eine viel zu hohe Dichte und Wahrnehmung an Informationen. Heutzutage, wo viele Informationen erfasst und verarbeitet werden müssen, kann es ein echter Vorteil sein, jemanden im Team zu haben, der oder die so eine Masse an Infos anders wahrnimmt, anders verarbeiten kann.

    Klarheit, Diversity plus Expertise

    Außerdem sind viele Autisten in ihrem Expertengebiet hyperfokussiert. Keiner buddelt sich so schick so tief ein wie wir. Oft in einem viel jüngeren Alter und einer viel stärkeren Ausprägung des Wissens als bei anderen Menschen.

    Das ergibt eine spannende Kombination von Klarheit, Diversity plus Expertise und bereichert jedes Team, das sich darauf einlässt.“

    Carola Heine: So, jetzt muss ich es aber aussprechen: Für dich ist das einfach. Du drückst dich gut aus, du bist groß, attraktiv und erfolgreich. Du kannst es dir leisten, solche Fragen zu stellen, denn du weißt was du willst und wohin die Reise geht.

    Aber was ist denn mit Leuten, die vielleicht nur am Rand des Spektrums sind – die aber alle Schwierigkeiten haben und nur wenig von dieser großen Kapazität, Informationen zu verarbeiten? Oder mit denen, die sich nicht so öffnen können und die in Projekten mit anderen deshalb Schwierigkeiten haben, auch wenn sie geniale IT-Problemlöser sind?

    Du bist ja, wenn ich das einfach mal so nennen darf, eine Bilderbuch-Autistin.

    Barbara Lampl: Ja, ich bin die totale Bilderbuch-Autistin. Aber das war ich ja nicht immer. Der Weg bis hierhin war kein leichter, ganz im Gegenteil. Ich lebe diese krasse Kombination im autistischen Spektrum mit dem hohen Intelligenzquotienten, mit der mathematischen Hochbegabung und mit der sprachlichen Hochbegabung.

    Bin ich als Kind deshalb in der Mülltonne gelandet? Hell yes. Es war ein schwieriger Weg bis hierhin.

    Was machst du aber, wenn dir diese Ausdrucksfähigkeit dann fehlt? Wir wissen heute, dass hochintelligente Autisten in Behindertenwerkstätten landen, weil wir Intelligenz damit messen, wie Menschen sich ausdrücken können. Ich selbst war bedingt durch mein Umfeld und diese besondere Kombination an Puzzlesteinen in der Lage, mir ein Leben zu erschaffen, in dem mein Autismus ein Benefit ist.

    Aber das ist nicht normal, das ist nicht für alle möglich.

    Arbeitgeber sollten die Chance erkennen, ihre Arbeitswelten zu bereichern

    Es ist ein Problem, wenn du als Autist:in der Norm nicht entsprichst und damit entweder wahrgenommen werden sollst oder dich zurechtfinden musst. Das ist aber noch eine andere Diskussion. Ich sehe da auch die Arbeitgeber ein bisschen in der Verantwortung, wenn sie diese Potenziale zu erkennen. Sie können wo machbar eine gewisse Vorleistung zu erbringen, sich als Fürsprecher einzusetzen und Möglichkeiten zu schaffen.

    So wie ich mich ja auch vorne hinstelle und sage „Hey, pass mal auf: Es sind manchmal nur ganz einfache Anpassungen notwendig, aber die müssen nun mal gemacht werden.“ Denn als Arbeitgeber solltest du nicht erwarten, dass jemand mit dieser Einschränkung auf euch zukommt und sagt, was er braucht – zum Beispiel Noice Cancelling Headphones. Es ist schwierig, solche Forderungen zu stellen, wenn auf der anderen Seite keine Wahrnehmung für die Herausforderungen vorhanden ist.

    Carola Heine: Es braucht also doch eine Gebrauchsanleitung. Kannst du die nicht mal schreiben?

    Barbara Lampl: Ich will mich ja nicht mit dem Autismusthema positionieren als Personal Brand, das ist nicht mein Schwerpunkt. Und ja – so eine Gebrauchsanleitung von mir wird schon kommen, es scheint Bedarf zu geben.

    Jetzt werde ich also erst einmal meinen Content im Blog auf feminist economy und in den sozialen Medien etwas hochfahren zum Thema Neurodiversity. Statt die Last wieder auf das Individuum zu legen, weil Menschen mit Einschränkungen um Akzeptanz kämpfen, müssen wir jetzt mal systemischer arbeiten. Unter dem Motto: „Hey, Neurodiversity im Unternehmen: So macht man das, so nutzen Sie tolle neue Mitarbeiter, die Sie vorher gar nicht auf dem Schirm hatten!“

    Carola Heine: Das ist doch ein wertvoller Beitrag. Wie kann das konkret für Firmen aussehen, wenn sie sich dieser Idee öffnen?

    Barbara Lampl: Am Ende des Tages reicht es schon aus, wenn ich als Arbeitgeber einen Plan mache.

    Dann habe ich zum Beispiel den Fragenkatalog fürs Bewerbungsgespräch. Ich habe den Fragenkatalog beim Onboarding Prozess. Ich habe die Checkliste fürs Check-in Gespräch. Solche Geschichten, denn am Ende des Tages ist es das, was schon ausreicht: Wenn du einfach nur einen Fahrplan hast, welche Checkliste, welche Fragen musst du wie oft stellen? Schon kann man sich ein wichtiges Stück weit entgegengehen.

    Carola Heine: Das ist ein toller abschließender Satz. Vielen Dank für deinen Input, liebe Barbara.

    FAQ:

    Wo kann ich mehr darüber lesen, wie sich das Leben mit Autismus anfühlt?

    Zum Beispiel in Melas Asperger- und ADS-Blog. Die Expertin für die Darstellung von Menschen mit Behinderungen in den Medien und Autistin schreibt über ihr Leben, Lobbyarbeit und den Umgang von anderen mit Autismus.

    Neudodivers bedeutet: Von der allgemein als normal empfundenen neuronalen und/oder neurobiologischen Entwicklung abweichend, ohne deshalb als eine Krankheit oder Störung angesehen zu werden oder Behandlung zu erfordern.

    Es geht nicht darum, jetzt Autisten aktiv zu suchen. Wenn in einer Stellenausschreibung steht (und es auch wirklich so gemeint ist), dass eine Bewerbung aus dem Spektrum willkommen ist, dann ist der wichtigste Schritt getan.

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