Der Vollzeit-Freelance-Mama-Blues
Der Vollzeit-Freelance-Mama-Blues

Der Vollzeit-Freelance-Mama-Blues 

Manchmal fehlt Magie, manchmal Empathie, meistens Zeit. Berufstätige Mütter wissen: Irgendwas ist immer.

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    „Das ist doch wohl nur eine Frage der Organisation?“ Mein Gesprächspartner ist spürbar genervt. Erst bin ich um 8 Uhr früh nicht ans Telefon gegangen (Abtransport Kind zur Grundschule) und jetzt klinge ich gar nicht so wahnsinnig erfreut bei der Anfrage, ob ich mal eben alles stehen, fallen und liegen lassen kann, um ein Projekt in einer anderen Stadt zu übernehmen.

    Autor:in: Carola Heine

    Veröffentlicht:

    Kategorie: Arbeitsalltag

    Ich verstehe ihn gut. Wer kennt nicht den stillen Wunsch, dass die lieben Mitmenschen einfach mal so funktionieren, wie man es gerade brauchen kann? Manchmal wollen sie nicht, manchmal können sie nicht und manchmal wollen sie nicht können. Dabei wäre es so praktisch, global weisungsbefugt zu sein. Ein Fingerschnipsen, und alle spuren brav – bämm.

    Instant Empathie per Digitalanweisung – das wär’s

    Wenn ich die Meisterin des magischen Schnipsens wäre, würde ich dem Herrn am anderen Leitungsende jetzt den netten Satz in den Mund legen „Ach so, Sie sind berufstätige Mutter, dann schauen wir doch einfach mal, wann wir einen kompatiblen Termin finden und ob wir remote zusammenkommen“. Stattdessen sagt er, und ich nehme vorsichtshalber einen großen Schluck Kaffee, damit mir keine spontane Antwort entweicht: „Aber Ihre Tochter geht doch schon in die Schule? Wie machen das dann Familien mit drei, vier oder fünf Kindern?“

    „So gut sie es schaffen, nehme ich an.“ Meiner Tochter habe ich beigebracht, langsam bis 10 zu zählen, wenn Wut in ihr aufsteigt. Ich bin bei 23 angelangt, ohne ihn zu fragen, ob er Kinder hat, darauf kann ich stolz sein und das bin ich auch. Als in Vollzeit berufstätige Mutter lernt man schnell, sich auch über kleine Erfolge zu freuen: Geduscht, vollständig farblich zusammenpassend angezogen und geschminkt vor 10 Uhr früh das Haus verlassen. Keine Affäre mit dem DHL-Boten. Nicht wieder aus Versehen in Hausschuhen zum Bäcker. Alle Windows-Updates am Tag vor der Präsentation und nicht während sie schon stattfinden sollte … und keine Grundsatzdiskussionen mit potenziellen Kunden, bevor sie einen überhaupt zu schätzen gelernt haben.

    Umsatzsteuer pünktlich erledigen“ stand früher auch auf der Liste kleiner Erfolge, aber mit lexoffice ist das nur noch ein Klick. Sich selbst dafür zu loben wäre etwas albern – da muss ich mir größere Brocken suchen. Zum Beispiel den Herren, der mit mir spricht, als sei ich ein störrisches Kind.

    Ich schaffe das. Ich werde ganz freundlich bleiben, während ich ihm erkläre, welche Aufgaben ich übernehmen kann und welche nicht. Gut, eben habe ich einmal probeweise geschnipst (man weiß im Leben ja nie, ob ein Moment nicht doch noch unerwartet magisch wird) und eigentlich müsste er das leise ‚Ommmmm’ auch hören, das ich zwischendurch jetzt vor mich hin atme. Es ist wirklich sehr fein, dass sie gerne mit mir arbeiten wollen, aber deswegen kann ich jetzt nicht einfach mal eben mein Kind ein paar Monate weggeben. Zumal es in dieser Galaxie noch nie auch nur ein einziges IT-Projekt gegeben hat, das zum geplanten Zeitpunkt fertig war und was, wenn es um Jahre statt Wochen geht? Projekte mit Berliner Flughafensyndrom habe ich auch schon einige erlebt. Nein.

    Gesetz des Dschungels: Als Mutter kann man es sowieso nie richtig machen

    Geduldig, so wie man mit begriffsstutzigen oder sehr sturen Menschen spricht, erläutert mein Gesprächspartner mir ein weiteres Mal, wie gut mir diese Projektleitung doch stehen würde (und wie praktisch es für ihn wäre, das Problem vom Tisch zu haben). Ich mache zustimmende Geräusche, nicht zu verwechseln mit zusagenden. Innerlich zähle ich durch, was einem so alles um die Ohren gehauen wird, wenn man Kind & Job jongliert: Miese Mutter, weil berufstätig. Nur eingeschränkt berufsfähig, weil Mutter, und jetzt auch noch „arbeitende Rabenmutter, obendrein schlecht organisiert“.

    Im richtigen Jonglieren bin ich übrigens auch ganz schlecht, das will keiner sehen.

    Aber seit ich ohne mein Zutun in der WhatsApp-Gruppe der Grundschulklasse gelandet bin und um ein Haar in einer Doodle-Lawine umgekommen bin, schafft es auch niemand mehr, mir Aufgaben zuzuschieben, die ich nicht haben will. Außerdem werde ich völlig grundlos immer fröhlicher hier an meinem Ende der Leitung. Mir ist nämlich klargeworden, dass er denkt: Die fährt ihr Kind zur Schule, holt es nach der Nachmittagsbetreuung ab und kann in der Zwischenzeit ungestört arbeiten. Was für ein realitätsferner und daher äußerst amüsanter Gedanke. Solche Wochen gibt es zwar auch, aber von den anderen gibt es mehr.

    Es gibt auch Wochen ohne Terminlawine, aber sie sind selten

    Unbelastete Menschen ohne eigene Kinder kommen vermutlich gar nicht auf den Gedanken, dass sie mit einer Mutter sprechen, die während des Schreibens von drei Artikeln gerade 1.800 Seiten Schülerzeitung auf dem Farblaser ausgedruckt und dann mit Drahtspiralen gebunden hat, damit die lieben Kleinen ein Andenken an ihre Grundschulzeit haben, während sich kritische Mütterstimmen erheben, ob denn auch die Bilder von der Floßbau-Aktion mit Picknick letzte Woche, dem Übernachten im Schulgarten mit Frühstück diese Woche und dem heute und morgen stattfindenden Schulmusical nicht auch in die Zeitung gekonnt hätten? Von dem Schülerkonzert, dem gesunden Extra-Frühstück und den selbstgemalten Maulwurfsbildern für alle, die noch gescannt werden mussten, ganz zu schweigen. Gut, das war meine Mutter, aber Kritik ist Kritik.

    Ich kann, mag und muss mich nicht rechtfertigen, weder vor anderen Müttern noch vor potenziellen Kunden, daher tue ich das auch nicht.

    Am Fachkräftemangel nehme ich nicht teil, also empfehle ich ihm ein halbes Dutzend kompetente Kolleg*innen und wir verabschieden uns freundlich. Nur eine telefonische Anfrage, aber wieder einer dieser Mama-Momente, in denen man sich gegen das Universum stemmen muss, um die eigene Position zu halten. Zum Glück kann ich mich kurz in meiner Filterbubble ausruhen, die aus guten Gründen nur aus Menschen besteht, die anderen eben nicht sich positionierend ständig in die Hacken treten.

    “Arbeite nur was Du liebst und Du wirst nie mehr arbeiten“ Pfffffhhh

    Ganz ehrlich und nur unter uns: Die meisten Familien mit arbeitenden Müttern brauchen das Geld. Alle Schwafler*innen vom Stamme der nachhaltigen Selbstverwirklicher kann man im Dutzend in die Tonne klopfen, wenn die Miete nicht gezahlt wird. So schön ist kein bei Instagram abgebildetes Frühstück, dass es sich ohne einen bezahlten Einkauf herbeischnipsen lässt und überdurchschnittlich viele Menschen der auffällig laut tönenden Sorte „arbeite nur das, was du liebst und du arbeitest nie wieder wirklich“ haben wohlversorgt geheiratet, irgendwas geerbt oder gründen gerade erst.

    Das ist Okay. Man kann aber durchaus einfach das lieben, was man arbeitet und einen richtig guten Job machen, ohne es verklärt zu betrachten.

    Örtlich flexibler wird man als berufstätige Mutter mit schulpflichtigem Kind zwar eher nicht, aber belastbarer organisiert und resilienter auf jeden Fall. Vielfältige neue Erfahrungen drängen sich auf, das Leben wird reicher, geht weiter auf und wird auf eine belebende Weise unübersichtlicher.

    Manchmal schreibt man dann auch einfach zwischen zwei Telkos einen ganz anderen Blogpost als geplant, weil es der WOW-LOVE-Balance gewaltig auf die Sprünge hilft, sich selbst daran zu erinnern, warum man wann welche Prioritäten setzt … und dass alles goldrichtig ist, so wie es ist 😉

    Eigentlich, das gebe ich zu, ist es für Vollzeit-Freelance-Mamas auch gar kein Blues. Mehr so ein Mix aus Polka, Rockmusik, Tango, Punk, Blaskapelle und dem Cup Song an „Stups der kleine Osterhase“. Aber wer hätte dann bis hier gelesen?

    lxlp