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Insolvenzantragspflicht Die Insolvenzwelle kommt - was Steuerberater wissen sollten
Insolvenzantragspflicht Die Insolvenzwelle kommt - was Steuerberater wissen sollten

Die Insolvenzwelle kommt – was Steuerberater wissen sollten

Insolvenzantragspflicht: Die bislang bis 30.09.2020 befristete Regelung ist bis 31.12.2020 verlängert worden. Bereiten Sie sich jetzt vor!

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    Verschuldete, noch nicht zahlungsunfähige Unternehmen im Schatten der Corona-Krise profitieren aktuell von der Schonfrist für die Insolvenzantragspflicht, die jetzt von der Bundesregierung auf den 31. Dezember verlängert wurde. Für Steuerberater*innen bedeutet das neue Pflichten und Risiken und einiges, worauf sie nun achten sollten. Wir sprachen mit Steuerbranchenexpertin Angela Hamatschek über die anstehenden Entwicklungen.

    Autor:in: Carola Heine

    Veröffentlicht:

    Kategorie: Steuerberater:innen

    Angela Hamatschek Insolvenzantragspflicht
    Angela Hamatschek Insolvenzantragspflicht

    Angela Hamatschek

    Kanzleioptimisten - Unternehmerwissen für Steuerberater

    Angela Hamatschek ist Autorin, Podcasterin, Trendscout und Referentin. Als Beraterin gibt sie Impulsvorträge, Seminare, Kanzleiworkshops zu Empfehlungsmarketing, Web und Social Media, Mitarbeitergewinnung, Digitalisierung und zur Zukunft der Steuerberaterbranche.

    »Unkonventionell, neugierig und Ideensprudler. Mit diesen drei Eigenschaften lässt sich mein Beratungsstil ganz gut umschreiben. Ich liebe alles Neue und Veränderungen.«

    Angela startete mit einer Lehre zur Steuerfachgehilfin in die Branche, studierte BWL und landete im Außendienst der Hamburger DATEV. Nach fünf Jahren wechselte sie nach Wien in die Kanzlei Hübner & Hübner und entwickelte das Höhenflug-Konzept der Hübner-Brüder einige Jahre lang mit. So entdeckte sie auch das Thema Kanzleimarketing für sich. 2001 dann der Sprung in die Selbständigkeit und zurück nach Deutschland. Seit 2004 ist Angela Hamatschek Partnerin des Steuerberater-Netzwerks delfi-net. Wir trafen die Steuerberater-Beraterin zum ersten Mal 2018 in unserer Zukunftswerkstatt in Sachen #Zukunftskanzlei.

    Carola: Hallo Angela, vielen Dank, dass du dir die Zeit für ein Interview mit uns über die Insolvenzantragspflicht nimmst. Vielen vor allen kleineren Selbständigen war bis vor kurzem noch gar nicht klar, dass es diese gesetzliche Regelung gibt. Welche rechtlichen Insolvenzgründe können denn ein Unternehmen betreffen und inwiefern ist das auch für den Steuerberater wichtig?

    Angela Da gibt es gleich mehrere. Drohende Zahlungsunfähigkeit, wenn die Verbindlichkeiten größer sind als die zur Verfügung stehenden Gelder und innerhalb einer 21-Tage-Frist kein Ausgleich erfolgt. Beispiel: Ein Unternehmer hat € 100.000 auf dem Bankkonto und erhält eine Lieferantenrechnung in Höhe von € 100.001 und in den nächsten 3 Wochen gehen keine Kundengelder mehr ein. Ein sehr gutes Beispiel, was Zahlungsunfähigkeit bedeutet, findet sich bei insoguide.de – dort steht auch, was dann zu tun ist.

    Überschuldung: Die Schulden sind größer als das Vermögen, das Eigenkapital ist aufgebraucht. Ein Beispiel: Eine Unternehmer-GmbH hat für den Bau einer Fabrik und Maschinen ein Darlehen im Wert von 1 Milion aufgenommen. Das Eigenkapital der GmbH beträgt € 500.000, der Wert des Anlagevermögens , Forderungen und Bankguthaben beträgt € 400.000. Eine ausführliche Definition findet sich bei Welt-der-BWL.de.

    Verschiebung der Frist für Insolvenzantragspflicht nur bei Überschuldung

    Carola: Okay, verstanden. Aber warum ist die Verlängerung der Insolvenzantragspflicht problematisch?

    Angela: Den meisten Unternehmer*innen und möglicherweise auch Steuerberatenden ist gar nicht bewusst: Verlängerung bis 31.12. gilt nur für den Fall der Überschuldung. Bei Zahlungsunfähigkeit ist ab 1.10. wieder verpflichtend der Insolvenzantrag zu stellen.

    Carola: Bevor wir im Detail darüber sprechen, was das für Steuerkanzleien heißt, hier die Maßnahmen, um die es geht und die in Frage kommen, wenn ein Unternehmen unter den Folgen der COVID-19-Pandemie leidet. Erforderlich ist außerdem, dass es Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Die fünf Maßnahmen:

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    Das Insolvenzantragspflicht Gesetz

    1) Antragspflichtige Unternehmen sollen die Gelegenheit erhalten, ein Insolvenzverfahren durch Inanspruchnahme staatlicher Hilfen, gegebenenfalls aber auch im Zuge von Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen, abzuwenden.

    2) Geschäftsleiter haften während der Aussetzung der Insolvenzantragspflichten nur eingeschränkt für Zahlungen, die sie nach Eintritt der Insolvenzreife des Unternehmens vornehmen.

    3) Während der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht an von der COVID19-Pandemie betroffene Unternehmen gewährte neue Kredite sind nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen.

    4) Während der Aussetzung erfolgende Leistungen an Vertragspartner sind nur eingeschränkt anfechtbar.

    5) Die Möglichkeit von Gläubigern, durch Insolvenzanträge Insolvenzverfahren zu erzwingen, ist für drei Monate eingeschränkt worden.

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    Durch die Regelungen soll den von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie betroffenen Unternehmen Zeit für die Sanierungsbemühungen und Verhandlungen mit ihren Gläubigern verschafft werden. Die Vorschriften greifen damit flankierend zu den umfassenden staatlichen Hilfsprogrammen.
    (Quelle)

    Dem Mandanten mitzuteilen, dass sein Unternehmen überschuldet ist, reicht nicht aus.

    Carola: Welche Haftungsfallen kommen auf Steuerberater*inne zu? Haben sie etwas zu befürchten.

    Angela: Aber ja: das Haftungsrisiko von Steuerberatern ist sogar höher als das von Wirtschaftsprüfern oder Rechtsanwälten. Wenn Mandanten zahlungsunfähig werden oder überschuldet sind, ist der Steuerberater also verpflichtet, diese unverzüglich und ausdrücklich und vor allem rechtzeitig auf die Insolvenzreife des Unternehmens hinzuweisen – sonst haftet er am Ende noch selbst.

    Dem Mandanten lediglich mitzuteilen, dass sein Unternehmen überschuldet ist, das reicht somit nicht aus. Ein Steuerberater muss die verantwortlichen Geschäftsführer explizit darauf hinweisen, dass jetzt ein Insolvenzantrag gestellt werden muss. Sonst läuft er Gefahr, wegen Insolvenzverschleppung angezeigt zu werden und im schlimmsten Fall seine Zulassung zu verlieren. Ein Steuerberater muss genau erkennen, wann ein Unternehmen insolvenzreif ist und dies umgehend mitteilen. Verstößt der Steuerberater gegen diese Pflicht, so kann er selbst in Haftung genommen werden und muss für den daraus entstandenen Schaden aufkommen.

    Vor allem Zahlungen, die Geschäftsführer zwischen erreichter Insolvenzreife und dem tatsächlichen Insolvenzantrag tätigen, können vor Gericht ein großer Streitpunkt werden. Der Insolvenzverwalter ist da emotionslos und schöpft alle Mittel aus und dem Mandanten ist bei aller langjährigen Mandatsbeziehung in der Regel auch das Hemd näher als die Hose. Dazu noch das Risiko der Rufschädigung, wenn der Mandant dann die Kanzlei persönlich haftbar macht »Ihr seid schuld, habt mich ins offene Messer laufen lassen, wart nicht aktiv genug«.

    Carola: Das klingt bedenklich. Lass uns mal konkret werden: In welcher Form sollten sich Steuerberater deiner Meinung nach absichern?

    Angela: Sie sollten unbedingt eine Risikoanalyse über alle Mandanten machen, besonders die in gefährdeten Branchen wie Tourismus oder Gastronomie: Wer hat welche Stundungsanträge laufen (Steuern, Pacht usw)? Wer zahlt schleppend? Mit A-Risikomandanten sollte der Berater dann unbedingt zeitnah ein Gespräch führen, Liquiditätsplanung anbieten. Im delfi-net haben wir dazu einen Liquiditätsradar entwickelt.

    Bei den bereits bekannten Wackelkandidaten empfehle ich, die Buchhaltung wöchentlich bzw. zumindest 14-tägig zu führen. Bei Liquiditätslücken unbedingt einen Finanzplan für 21 Tage machen, sowieso Liquiditätsplanung einführen.

    Strategieberatung ist auch wichtig: Welche Handlungsalternativen gibt es, wie können Umsätze generiert werden oder Kosten gesenkt werden? Ein Beispiel liefert der Steuerberater Frank Scheele, der schon in der ersten Phase von Corona mit Mandanten konkrete Ideen entwickelte, wie Gaststätten oder ein Massagestudio unter Corona-Vorgaben weiterbetrieben werden können. Oder die Kanzlei Lotz: Sie haben Bühnenbildner / Künstler und Gastronomen vernetzt, so dass schicke Kommunikationsinseln entstanden sind statt Plexiglas-Trennscheiben. Das spannende frische Konzept hat neue Gäste angelockt.

    Ganz stark gefährdeten Unternehmen empfehle ich die »Dog & Pony Show« (diesen Begriff und Tipp habe ich in einem Webinar von Prof. Dr. Römermann gehört, dem Top- Experten im Insolvenzrecht): Mit einem Rechtsanwalt oder Fachberater für Insolvenz und Sanierung und dem Mandanten ein Was-wäre-wenn-Gespräch führen, alle Szenarien vorab durchspielen. Auch Webinar-Angebote können helfen, Informationslücken rechtzeitig zu schließen und Unterstützungsangebote zu vermitteln.

    Das Wichtigste im Fall drohender Insolvenz

    Das vielleicht Wichtigste: Den Mandanten sofort schriftlich informieren, wenn die Insolvenzreife erkannt wird. Auch schon jetzt vor Ablauf irgendwelcher Fristen, denn mit Hilfe professioneller Beratung lässt sich vielleicht das Ruder noch herumreißen.

    Carola: Es gibt ja auch sehr unbelehrbare Menschen oder solche, die zu überfordert sind, um sich helfen zu lassen. Darf ein Steuerberater ein solches Mandat auch niederlegen, wenn zum Beispiel der Mandant oder die Mandantin sich als beratungsresistent erweisen?

    Angela: Ja, unbedingt. Grundsätzlich lautet die Devise: Beruhigen und Beraten. Sich in die Situation des Mandanten versetzen, Emotionen aushalten und dann Unterstützungsangebote machen. Aber wenn keine Hilfe angenommen wird, sollte der Steuerberater oder die Steuerberaterin das Mandat niederlegen.

    Carola: Wie schätzt du die Lage nach Ablauf der Frist ein?

    Angela: Meine persönliche Einschätzung:

    30% der Unternehmen sind gefährdet, brauchen dringend aktive Unterstützung.
    Im delfi-net haben wir die Rückmeldung erhalten, dass von den Teilnehmenden dort wenige betroffen sind, den Mandanten geht es gut und sie haben durch die digitale Zusammenarbeit zum Teil sogar während Corona Mandatszulauf erfahren
    In den Gegenstandswerten 2021 wird sich erst zeigen, wie sich die Krise aufs Honorar auswirkt. Da wird es einige Kanzleien treffen
    Mein Schlusssatz😉: Wer noch keine Digitalisierungs- und Beratungskompetenz aufgebaut hat, wird den Zug nur noch von hinten sehen.

    Carola: Herzlichen Dank für deine Zeit und Expertise. Bitte bleib gesund! Und weiter viel Erfolg.

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    Digitalkompetenz ist wesentlicher Teil der #Zukunftskanzlei

    Digitalisierung? New Work? Wertewandel? Prägnante Schlagworte in Presse, Politik und Wirtschaft. Aber was bedeutet das alles konkret für die Steuerkanzlei der Zukunft?

    #Zukunftskanzlei ist eine Studie von der Branche für die Branche. Sie entwirft iterativ eine Kanzlei der Zukunft, von der sich konkrete Handlungsempfehlungen ableiten lassen, die Kanzleien und deren Mandanten zugutekommen.

    Zum kostenlosen Download der Studie zur #Zukunftskanzlei

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